Ein Bericht von Florian Moos
Tendenziell sieht man die Segelflieger nur im Sommer, wenn sie sich unter den Cumuluswolken in der Thermik nach oben schrauben, um dann zur nächsten Wolke zu gleiten. Wenn dann im Winter die Sonne flacher steht und damit weniger Thermik erzeugt, wird das Fliegen eingestellt, man hat Zeit, die Flugzeuge zu pflegen und Veränderungen vorzunehmen. Allerdings gibt es auch im Winter eine Möglichkeit, sich motorlos in der Luft zu halten: Leewellen. Eine Leewelle kann entstehen, wenn (bei weiteren passenden geographischen und meteorologischen Bedingungen) starker Wind über einen Gebirgszug weht und auf der vom Wind abgewandten Seite (Lee) auf den Talboden trifft. Dort wird sie „reflektiert“, was die Luftmasse wieder ansteigen lässt, unter Umständen mehrere tausend Meter. In dieser steigenden Luftmasse kann der Segelflieger dann selbst Höhe gewinnen. Im Gegensatz zur turbulenten Thermik ist die Strömung in einer Welle laminar, d.h. alle Luftpartikel bewegen sich „parallel“ zueinander. Dadurch wird das Fliegen in einer Leewelle besonders ruhig und angenehm. Leewellen kann man bei passenden Winden an einigen Stellen Deutschlands finden. Unter anderem über dem Rheintal, wo sie im Winter bei Westwind östlich des Pfälzer Wald „steht“ und dort Höhenflüge von bis zu 7000 Metern sowie Streckenflüge über mehrere hundert Kilometer ermöglicht. (Mehr dazu unter „Erklär‘ mir“, „Warum kann ein Segelflugzeug ohne Motor stundenlang in der Luft bleiben und hunderte Kilometer weit fliegen?“)
Mein persönliches Ziel, in diesem Winter „Welle zu fliegen“, stand schon Anfang Dezember 2023. Durch Terminüberschneidungen, zu nasses Wetter (starke Wolkenbildung) oder auch zu optimistische Vorhersagen fiel das aber immer wieder aus. Doch Anfang der ersten Januar-Woche sah es so aus, als ob sich ein neues Fenster auftut: starker Wind, bis 80 km/h in Böen, relativ trockenes Wetter, und bei mir und Freund Noah, der selbst in Zellhausen segelfliegt, passte es auch zeitlich. Über die Segelflugplattform WeGlide kontaktierten wir ein Mitglied des SSV Ludwigshafen, der häufiger diese Wetterlagen ausnutzt. Freundlicherweise bot er nicht nur an, dass wir in Ludwigshafen-Dannstadt, dem Segelfluggelände etwa 10 km südwestlich von Ludwigshafen, starten können, sondern er unterstütze uns sowohl meteorologisch als auch flugtaktisch.
Nachdem Donnerstag, der 4. Januar 2024, sich als bester Tag herauskristallisierte, packten Noah und ich am Vorabend den Hochleistungsdoppelsitzer unseres FSCA, den DuoDiscus, in den Transportanhänger, um am nächsten Morgen in aller Frühe gen Süden fahren zu können. Am Donnerstagmorgen um 5:00 Uhr klingelte der Wecker, so dass wir nach etwa 120 Straßenkilometern pünktlich um 7:30 Uhr am Flugplatz Dannstadt waren und den Flieger wieder aufbauen konnten. Um 9:00 Uhr waren wir startbereit zusammen mit acht anderen Segelfliegern, die teilweise bis aus der Schweiz angereist waren, um an diesem Tag dort zu fliegen – offensichtlich hatten nicht nur wir die letzten Tage das Wetterbeobachtet! Wie sich aber schon am Morgen aus der Vorhersage lesen ließ, war an einen Start vor 10 Uhr nicht zu denken, da der Himmel noch wolkenverhangen war. Gegen 10:30 Uhr bildeten sich erste größere, stabile Löcher, was den Vorstand von Dannstadt dazu veranlasste, sich in die Welle schleppen zu lassen. Er meldete nach 15 Minuten zurück, dass die Welle steht und auch die erhofften Steigwerte bringt – Aufatmen bei uns im Duo!
Um 11:15 schleppte uns die Robin. Bei dem Wind gar nicht so einfach, sauber hinter dem Schleppflugzeug herzufliegen. Von Ludwigshafen-Dannstadt ging es westlich Richtung Lachen-Speyerdorf, wo sich bereits andere Segelflieger tummelten. Ausgeklinkt in 4500 ft MSL / ca. 4200 ft AGL und weiter Richtung Westen geflogen, um in die Welle einzusteigen. Aus der turbulenten Luft kamen wir zuerst in den Teil der Welle, in der die Luft laminar strömt, aber sinkt. Auf einmal wurde das Flugzeug ruhiger, die benötigten Steuereingaben wurden kleiner und Entspannung machte sich breit. Und dann kletterte das Variometer von einem halben Meter pro Sekunde Sinken langsam auf 0 bis 0,2 m/s Steigen. Unfassbar. So stiegen wir, indem wir Schleifen flogen, langsam immer weiter, mit zunehmenden Steigraten. 1000 Meter höher zeigte das Vario konstant 1 m/s Steigen an. Wir entschieden uns, einem erfahreneren Segelflieger Richtung Süden zu folgen. So ging es dann bis kurz vor die französische Grenze, wo die Welle zu dem Zeitpunkt aber noch nicht stark genug ausgeprägt war und wir wieder sanken. Um nicht zu tief zu kommen und den Anschluss zu verlieren wendeten wir und flogen wieder Richtung Norden. Im Geradeausflug stiegen wir weiter bis auf Flugfläche 98 (knapp 3000 Meter). Da wir leider von der Flugverkehrskontrolle in Langen keine Freigabe für den Segelflugsektor Haardt bekommen hatten, durften wir nicht höher steigen. Also wandelten wir das Steigen in Geschwindigkeit um und schossen mit 170 bis 200 km/h die Welle entlang. Abgesehen von dem Ausblick, der über den Wolken einfach unbeschreiblich ist, führte die laminare Strömung zu einer nie erlebten Ruhe des Flugzeugs: die Geschwindigkeitsanzeige war bei 170 km/h festgenagelt, der Höhenmesser bewegte sich nicht, und selbst das Variometer blieb konstant bei 0 m/s. Ein wundervolles Fliegen!!! So sind wir dann noch mehrfach die Welle hin und her geritten, bis ich trotz sechs Kleiderschichten, doppelten Socken und Heizsohlen zu zittern anfing: -10° C außen. Immerhin, 300 km Strecke mit 118 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit haben wir geschafft − ohne einen einzigen Kreis! Mit leicht angefrorenen Bremsklappen sind wir durch das obligatorische Loch in den Wolken abgestiegen. Nach drei Stunden Fliegen in laminarer Luft wurden wir dann wieder jäh in die Turbulenz unter den Wolken zurückgeworfen. Trotz Böen und starkem Wind gelang eine saubere Landung, und wir konnten den Flieger mit Hilfe des SSV abrüsten und wieder heimfahren. Barogramm und Flugweg siehe >>> unten!
Nun das Fazit: Am Abend vorher packen, früh aufstehen, kalte Luft, bei noch größeren Höhen Sauerstoffversorgung einplanen … all das „nur“ um drei bis fünf Stunden zu fliegen? Macht das denn überhaupt Sinn??? Diese Frage lässt sich ohne Zweifel für uns beide eindeutig mit JA beantworten. Im Geradeausflug zig km im Steigen zurückzulegen, die ruhige laminare Strömung zu erleben und das Ganze noch mit der unvergleichlichen Aussicht über den Wolken − das rechtfertigt die ganzen negativen Aspekte bei Weitem. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf die nächste Wetterlage, die Wellenflug zulässt, um dann vielleicht auch im Einsitzer, aber auf jeden Fall mit Sauerstoff, noch höher zu klettern.
Vielen Dank an alle Helfer, die das ermöglicht haben, besonders aber an Klaus vom SSV Ludwigshafen-Dannstadt für die Einweisung und das freundliche Willkommen. Ein besonderer Dank geht auch an Ute, ohne die wir gar nicht erst nach Ludwigshafen gekommen wären. Und zuletzt noch an Noah, danke, dass ich dieses Mega-Flugerlebnis mit Dir teilen durfte.
Dokumentation auf WeGlide
Vortragsreihe zur Flugsicherheit: „ALLES FLUSI“
Petition: → gegen Flugplatzschließung Salzgitter